Stoisch durch die Krise
Krankheiten, Kriege, Katastrophen. Meist überfallen sie uns plötzlich und ohne Rücksicht. Die Philosophie der Stoiker bietet aber erste Hilfe für die Seele. So auch mit drei bewährten Ratschlägen, um in unruhigen Zeiten gelassen zu bleiben.
1. Akzeptiere, was geschieht
Solang es bei uns läuft, werden wir mit allem fertig. Wir lächeln breit und reden lässig. Selbst wenn andere ein Unglück trifft, bewahren wir Ruhe. „Alles nicht so schlimm. Auch das geht vorbei“, sagen wir sanft und sicher. Wie anders liegt die Sache aber, sobald es uns an den Kragen geht? Plötzlich ist alles nicht nur schlimm, sondern noch viel schlimmer. Wagt es einer, uns zu damit zu trösten, dass „auch das vorbei geht“, dann wollen wir nichts davon hören. Schließlich fühlt es sich für uns an, als wären wir im Schraubstock eingespannt. Es tut unglaublich weh. Klar zu denken scheint unmöglich. Ob wir uns jemals befreien können, ist ungewiss.
Nicht umsonst heißt es, dass man einen Menschen erst kennenlernt, wenn man ihn in die Enge treibt. Denn im Angesicht von Schmerz und Nachteil verwandeln wir uns ohne Übung rasch zu Sklaven unserer Emotionen. Unsere Gesichter verziehen sich zu Fratzen, Wut und Ärger schäumen, so mancher Gentleman mutiert in Sekundenschnelle zur Bestie. Wie fest kneifen wir die Augen zusammen, um die Wahrheit gerade noch rechtzeitig zu übersehen. Statt zu beobachten, urteilen wir. Statt uns vorzubereiten, verharmlosen wir. Statt uns selbst zu hinterfragen, belächeln oder beschimpfen wir, was unsere Meinung nicht bestätigt. Das Credo lautet allzu oft: Rebellieren, ignorieren und fantasieren, um ja nicht zu akzeptieren.
Stellen wir uns jetzt aber zwei Typen vor, die es ähnlich achtlos halten mit den äußeren Umständen: Einen Boxer, der auf seinen Gegner losgeht, als wären dessen Arme gefesselt. Und einen Schachspieler, der so spielt, als wäre immer nur er selbst am Zug. Wir benötigen nicht viel Vorstellungskraft, um uns in beiden Fällen das Ergebnis auszumalen. Der erste wird ohne Deckung kämpfen und fürchterlich verdroschen werden. Der zweite wird schlechte Züge wählen und in Bedrängnis geraten. Rasch heißt es für die beiden K.O. und Schachmatt.
Denken wir nun aber zum Vergleich an einen Boxchampion und an einen Schachgroßmeister. Warum feiern sie im Ring bzw. am Brett einen Triumph nach dem anderen? Zuallererst deshalb, weil sie vollkommen anerkennen, was vor sich geht. Der beste Boxer kann den feindlichen Schlägen nur so geschickt ausweichen, weil er akzeptiert, dass auch sein Gegner vorhat, ihn zu treffen. Der erfolgreiche Schachspieler ist nur so schwer zu besiegen, weil er zu jeder Phase miteinberechnet, dass auch sein Widersacher die stärksten Züge finden könnte.
Halten auch wir es wie die letzteren. Vergessen wir dabei aber nicht, dass es für Objektivität eine ruhige Seele braucht, die nicht vom Kampf gegen die eigenen Affekte geblendet ist. Wut, Ärger, aber auch Euphorie trüben unsere Sinne und verleiten uns zu schrecklichen Fehlschlüssen. Dagegen reichen oft ein paar Momente der Stille, um das Gesamtbild wieder zu erkennen.
Schließlich bedeutet Akzeptanz häufig, sich von Vorurteilen und tiefen Überzeugungen zu verabschieden. Darum schreibt auch Mark Aurel in den Selbstbetrachtungen: »Wenn du wegen eines Ereignisses verzweifelt bist, ist es nicht die Sache selbst, die dir Sorgen bereitet, sondern nur, wie du sie beurteilst. Diese Beurteilung kannst du von jetzt auf gleich löschen.«
2. Frage dich, was du kontrollieren kannst
Staudämme in der Natur. Asylanträge für Ausländer. Deadlines für Projekte. Goldene Regeln im Unternehmen. Sparbücher für die Zukunft. Eheverträge zur Sicherheit … Die Liste ist unendlich – unendlich wie die Sehnsucht des Menschen nach Kontrolle.
So findet sich beinahe in jeder Gruppe auch diese eine Person, die die gesamte Situation kontrollieren will. Hektisch läuft sie hin und her, ist nur mit dem Außen beschäftigt, fällt anderen ins Wort, diktiert Stichworte, manipuliert, verschweigt, bestraft, schreit oder schwindelt, und am Ende schaut sie wiederum so angespannt und misstrauisch wie zu Beginn, weil es ihr nie so ganz zu gelingen scheint.
Kontrolle ist nur ein Wunsch. Nach den Lehren der Stoa hängt unser Lebensglück aber stark von unseren Wünschen ab. Erfüllen wir sie, sind wir glücklich, unglücklich bleiben wir aber, solange sie nicht wahr werden. Selbst das Wünschen ist eine Kunst, die gelernt sein will. Kaum einer bringt sie uns in dieser wunschschwangeren Gesellschaft bei. Denn während wir nach Reichtum, einem tollen Job, nach Gesundheit, hemmungslosem Sex und schönem Wetter verlangen, vergessen wir leicht, wie eingeschränkt, ja, wie winzig der Bereich ist, über den wir selbst bestimmen.
Unser Haus kann jeden Tag abbrennen. Der Reichtum kann uns jederzeit verloren gehen. Auch über unseren Körper haben wir nur begrenzte Macht. Selbst wenn wir pausenlos trainieren und komplett auf ungesunde Nahrung verzichten – wir sind dennoch nie gefeit vor Unfällen, Krebs, Corona und all den weiteren tausenden Krankheiten. Schon gar nicht entscheiden wir selbst darüber, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Von manchen werden wir heiß geliebt, obwohl sie uns nichts bedeuten. Für andere wiederum tun wir alles und noch viel mehr, obwohl wir von ihnen jahrelang ausgelacht, ausgebeutet oder betrogen werden.
Letztlich gilt deshalb: um all das zu haben, was wir wollen, dürfen wir nur das wollen, was wir haben. Für die Stoiker bedeutet dieses bescheidene Glück, dass wir es aufgeben, all jenes kontrollieren zu wollen, worüber wir keine Kontrolle besitzen. Dass wir darauf verzichten, nach äußeren Gütern zu verlangen. Sie stehen nicht in unserer Macht, folglich werden wir keinen Tropfen unserer Emotion für sie vergeuden.
Stattdessen raten uns die Stoiker, dass wir uns einzig auf jene wenigen Dinge konzentrieren, die unserem Einfluss unterliegen. Das sind lediglich unsere Urteile und Handlungen, letztlich unser Verhalten. »Vertraue nicht auf deinen Ruf, auf dein Geld oder deine Stellung«, heißt es dazu bei Epiktet, »sondern in deine innere Stärke: deine Einschätzung dessen, was unter deiner Kontrolle steht und was nicht.«
3. Amor Fati
Diese Formel, die durch Nietzsche Berühmtheit erlangte, verstehe ich als Königsdisziplin der stoischen Lebenskunst. Meist wird sie als bloße »Liebe zum Schicksal« oder als »Liebe dein Schicksal!« interpretiert, was ihr aber lange nicht gerecht wird. Denn Nietzsche spricht in Bezug auf sein Schlagwort nicht so sehr vom Schicksal, als vielmehr von der Notwendigkeit der Übel.
So notiert er auch 1888: »Höchster Zustand, den ein Philosoph erreichen kann {…} meine Formel dafür ist amor fati… — Hierzu gehört, die bisher verneinten Seiten des Daseins nicht nur als nothwendig zu begreifen, sondern als wünschenswerth {…}«
Lange davor, nämlich im alten Rom, fasste Seneca bereits einen artverwandten Gedanken: »In keiner Lebenslage wird es dir an Aufmunterungen, Erholungen und Aufheiterungen fehlen, wenn du es über dich gewinnst, das Schlimme lieber für erträglich zu halten, als es dir verhasst zu machen.«
Bloß zu akzeptieren reicht also noch nicht. Wir sollen alles, was uns widerfährt, als unerlässlich begreifen. Alles, was uns an Schlechtem zustößt, als unseren ureigenen Weg, als unsere Brücke zu einem schöneren Stück Land auffassen. Nicht mehr länger über unsere Niederlagen klagen, nein, wir sollen gerade die Krisen und Rückschläge in unserem Leben bedingungslos lieben.
Freilich ist das ein Ideal, das uns nur schwer erreichbar erscheint, dennoch gibt es kaum einen Ausspruch, der nur so vor Mut und Lebensbejahung strotzt. In diesem Sinne: Amor Fati!
Meine stoische Buchempfehlung:
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Herzlichst,
Patrick Worsch