Coroniken II – Bildernährung

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Nahaufnahme eines Auges

22. März 2020

Auch ohne Corona werden wir von Infos umzingelt. News, Videos und soziale Medien bestimmen nicht nur über unseren Tag. Sondern auch über unsere Emotionen. Hier ein paar Gedanken zur digitalen Ernährung für die Quarantäne.

Viele von uns ernähren sich bewusst und gesund. Selbst jetzt zögern sie vor den Regalen und drehen die Joghurts im Kreis, um keinen Inhaltsstoff zu übersehen. Wir kaufen Apps, die uns sagen, wie viele Kalorien jedes Lebensmittel enthält. Wir lassen teure Ernährungspläne berechnen, um spätestens im Sommer topfit auszusehen. Und wie oft verzichten wir auf Pizza, Cola oder Gummizeug, auch wenn das alles zum Sterben gut schmeckt. Kurz gesagt wägen wir genau ab, was uns in den Mund kommt. Gleichzeitig achten wir aber kaum darauf, was wir in unsere Augen lassen.

Die Welt hält uns täglich davon ab, unseren Blick nach innen zu richten. Permanent konfrontiert sie uns mit Bildern, die wir nicht kennen, mit Personen, die uns nicht kennen, und mit Themen, mit denen wir uns noch nicht auskennen. Die Welt weiß genau, wie sie unsere Neugierde anlockt und unsere Augen gefangen nimmt: viel zeigen, aber nie alles, und immer werden wir mit der Hoffnung oder mit der Angst bei der Stange gehalten, bald noch mehr sehen zu können. Aber nicht jetzt. Sondern morgen. Da folgt erst die nächste Episode. Wir schalten ein, klicken drauf, schauen zu, warten, warten, schalten ein, klicken drauf, schauen zu, warten, warten: auf Instagram, Netflix, YouTube, im Fernsehen, unsere Warteschleifen enden nicht.

Wie zimperlich sind wir doch beim Essen! Manche mögen nichts Süßes, ekeln sich vor Fisch oder schleimigen Speisen, andere würgen schon beim Anblick einer Rosine. Ganz anders bei der Bildernährung. Egal ob der Vater die Mutter erdolcht, der Bruder die Schwester schwängert, die Influencerin ihren eigenen Selbstmord anteasert oder der Fernsehsprecher uns täglich Hiobsbotschaften von der Börse vorsetzt, wir schalten ein, klicken drauf, lesen durch, warten, warten – hier sind wir nicht wählerisch, hier verschlingen wir die ganze Speisekarte. 

Denn wer beobachtet sich schon selbst beim Beobachten? Zu spannend ist einfach die Handlung, zu arg die Gerüchte! Wer kündigt schon sein Netflix-Abo, weil er nicht täglich bei Schwerverbrechen und Ehebruch zusehen will? Wer verzichtet auf Instagram, weil er sich den Neid und die Minderwertigkeit eingesteht, die er beim Anblick mancher Stories fühlt? Zu interessant sind diese Leute, zu bunt diese gefilterte Welt hinter dem Bildschirm! Und was werden sie erst als nächstes posten? Schließlich muss man ja auch in der Mittagspause mitreden können. Ansonsten gehen einem die Gesprächsthemen aus, und dann wird man aus der Gruppe ausgeschlossen und am Ende womöglich noch gemobbt…

Dabei sind Bild- und Tonernährung ebenso wichtig wie die Auswahl unserer Speisen und Getränke. Genauso wie Coronoviren können giftige Informationen über unsere Augen und Ohren in unsere Körper eindringen, wo sie uns traurig und wütend machen, uns mit Ärger, Hektik und Eifersucht durchbluten, uns zu falschen Handlungen und Fehleinschätzungen treiben. Die Angst, die Freude, der Ekel, Lust und Frust, die wir beim Schauen und Hören empfinden, sie alle wirken sich nachhaltig auf unsere Stimmung aus, und unsere Stimmung bestimmt oder verstimmt unsere Beziehungen, und letztlich sind es unsere Beziehungen, die darüber entscheiden, ob unser Leben gelingen kann.

Dieses Leben wird sich in den kommenden Wochen fast ausschließlich daheim abspielen. Häufig in engen Räumen. Dicht gedrängt, mit drei, vier, fünf Personen. Um uns da nicht fürchterlich zu langweilen und hässlich zu streiten, müssen wir uns mehr denn je ablenken. Umso wichtiger, dass wir bewusst darauf achten, was wir konsumieren und was jedes Medium mit uns macht. Löst diese Serie vielleicht Trauer in mir aus? Ist mir diese Musik vielleicht zu aggressiv? Werde ich panisch, wenn ich mir noch einen Coronabericht ansehe? 

Ansonsten können wir unsere Wut im Fitnesscenter gut abreagieren, oder wir lenken uns vor Spannungen mit einer Person ab, indem wir ihr ein paar Tage aus dem Weg gehen. Jetzt aber können wir viel für unsere Gemeinschaft tun, indem wir unsere Liebsten motivieren und vorbildhaft für mehr Harmonie und gute Stimmung sorgen.

Lasst uns nichts anklicken, was uns aufstachelt. Steuern wir unsere Emotionen in eine helle Richtung. Ernähren wir uns bewusst von positiven Bildern, Tönen und Worten. Hier deshalb noch drei Lesetipps für mehr Lebensfreude und innere Zufriedenheit, nicht nur in den kommenden Wochen:

 

Eckhart Tolle – Eine neue Erde 

Deepak Chopra – Feuer im Herzen

Ryan Holiday – Der tägliche Stoiker

 

Herzlichst,

Patrick Worsch